Diskussionen über Kader und Trainer – Ein Kommentar

Dieter Hecking muss sich bereits jetzt mit harter Fankritik auseinandersetzen (Foto: Revierfoto)

4 Spiele, 2 Siege, 2 Niederlagen: Ein Saisonstart, der weder wirklich schlecht noch richtig gut ist. Entscheidend ist für viele auch die Art und Weise, wie wir gewonnen und verloren haben. Die Stimmung geht – so mein Eindruck – eher in eine negative Richtung. Im Fokus stehen dabei natürlich der Kader und Trainer Dieter Hecking. Doch wie berechtigt sind die teils vernichtenden Kommentare?

Die Ansprüche

Nach einem Abstieg sind die Erwartungen naturgemäß hoch. Die finanzielle Lage ist zwar schlechter, aber im Vergleich zur Konkurrenz noch immer solide. Umso größer der Drahtseilakt, die Stimmung auf einem guten Level zu halten. Bleibt der Erfolg aus, werden Stimmen schnell kritischer. Doch nach vier Pflichtspielen alles infrage zu stellen oder gar schon vom Zweitliga-Klassenerhalt zu sprechen, halte ich für überzogen. Natürlich gibt es viele Baustellen beim VfL – dazu gleich mehr – aber warum jetzt schon die weiße Fahne hissen?

Meine Prognose im Video: Ohne „große“ Fortschritte wäre ein Platz im Mittelfeld wohl das Maximum. Aber das ist nur eine Momentaufnahme, die sich in wenigen Wochen wieder ändern kann. Positiv, aber natürlich auch negativ. Ein Blick auf die letzte Spielzeit nach einem direkten Abstieg zeigt, wie sich eine Entwicklung konkret ändern kann (bei gleicher Kader- und Trainersituation): 2010/2011 hatten wir nach fünf Pflichtspielen nur einen Sieg und schieden im Pokal bei den Kickers Offenbach (damals wie heute in Liga 4) mit 0:3 aus. Am Ende verpassten wir den direkten Aufstieg nur knapp und scheiterten unglücklich in der Relegation gegen Gladbach.

Ich weiß, es kann auch in die andere Richtung gehen und das Beispiel überzeugt nicht in allen Punkten. Es soll nur verdeutlichen, dass noch sehr viel passieren kann und es daher verschenkte Energie ist, sich schon jetzt mit Horrorszenarien zu beschäftigen. Gleichzeitig zeigt es, dass wir unsere Anspruchshaltung nicht überziehen dürfen. Den Weg des Umbruchs müssen wir langfristig mittragen – auch wenn die erste Saison in Liga zwei nicht gleich den „großen Wurf“ bringen sollte.

Der Kader

Aktuell umfasst unser Kader 28 Spieler. Der Umbruch ist spürbar, dennoch standen gegen Schalke sechs Akteure aus dem Abstiegskader in der Startelf. Von den Neuzugängen überzeugte bisher vor allem Morgalla, daneben Lenz als „interner“ Neuzugang. Wätjen konnte sich noch nicht beweisen, während Vogt und Strompf in der Abwehr mit zu vielen Fehlern auffallen – sowohl defensiv als auch im Spielaufbau.

Offensiv fehlt es im 3-5-2 bzw. 5-3-2 noch an Kreativität und Defensiv an Stabilität. Auch wenn der Kader dafür geplant ist, wirkt es ergebnistechnisch bislang nicht überzeugend. Für ein 4-3-3 bzw. 4-2-3-1 fehlen uns wiederum schnelle Außen, wenngleich Holtmann, Miyoshi und Bamba gezeigt haben, dass es punktuell funktionieren kann. Ich persönlich würde mir noch einen LF und einen RF wünschen, idealerweise flexibel einsetzbar. Wahrscheinlich kommt aber nur ein weiterer Leihspieler, der als „mobiler Stürmer“ dann sofort einschlagen MUSS.

Ein endgültiges Urteil über die Kaderqualität möchte ich frühestens nach dem ersten Saisondrittel fällen. Baustellen sind klar: Spielaufbau, Passqualität, Standards, Absicherung bei gegnerischen Standards und Chancenverwertung. Interessant wird sein, wie Kwarteng und Masovic nach ihrer Rückkehr Qualität und Konkurrenz beleben können und wie sich Onyeka nach seiner Genesung nun einbringen wird. Dazu kommt natürlich auch das „Pech“, dass Sissoko uns aktuell nicht weiterhelfen kann und er erstmal wieder fit werden muss. Dies ist das wichtigste. Seine Qualität kann im Saisonverlauf ebenfalls noch eine wichtige Rolle spielen, sofern er auch bei uns überwintern und nicht schon den Absprung wagen wird, der ja auch schon im jetzigen Sommer ein großes Thema war.

Der Trainer

Auch Hecking steht im Fokus. Ihm wird zu viel Systemtreue, zu wenig Flexibilität und eine unglückliche Wechselpolitik vorgeworfen. Ich sehe das in Teilen ähnlich: Gerade gestern half die Umstellung nicht, das Spiel zu sichern. Die 3er/5er-Kette wirkte jedoch deutlich eingespielter, zumindest bis zum generellen Leistungsabfall. Aber ihn aufgrund der zuvor genannten Vorwürfe entlassen? Völlig verfrüht. Seine Punktquote von 1,03 in 29 Spielen ist kein Maßstab, weil sein „Feuerwehreinsatz“ letzte Saison nicht mit einer normalen Spielzeit vergleichbar ist.

Natürlich muss er sich künftig an Ergebnissen messen lassen. Doch ein kopfloses Vorgehen wie einst bei Hamburg oder Schalke, die ständig Trainer wechselten, darf nicht unser Weg sein. Auch ich werde die Trainerfrage stellen, wenn die Ergebnisse ausbleiben. Bis dahin aber möchte ich Hecking, seinem Stab und der Mannschaft die Chance geben, uns Fans vom Gegenteil zu überzeugen. Herzblut und Identifikation mit dem VfL sind Werte, die man nicht unterschätzen darf. Und: Wer würde überhaupt übernehmen wollen, wenn wir Hecking schon jetzt entlassen – zumal sein Vertrag bis 2027 läuft und das Budget für einen Nachfolger noch viel dürftiger ausfallen dürfte?

Fazit

Die Kritik an Kader und Trainer ist nachvollziehbar, wirkt nach nur vier Spielen in ihrer Dramatik jedoch teils überzogen. Der VfL hat Baustellen, aber ebenso Entwicklungspotenzial. Das Schalke-Spiel zeigte, dass bereits einige Schwächen aus den ersten Partien verbessert wurden. Jetzt sind Stabilität, Geduld und gezielte Arbeit an den Defiziten gefragt – nicht Panik und vorschnelle Forderungen. Erst nach einem Drittel der Saison lässt sich ein echtes erstes Zwischenfazit ziehen. Bis dahin gilt: Ruhe bewahren, arbeiten lassen, aber dennoch berechtigt und gerecht kritisieren und natürlich auch bei krassen Fehlentwicklungen gegensteuern.